
Den Stress wegstricken
Alles ist wieder ausgepackt, die letzte Waschmaschine läuft. Ich mag es nicht, wenn meine Sachen nach Hotel riechen.
Eigentlich könnte ich mir noch ein paar schöne Tage machen, aber irgendwie komme ich nicht zur Ruhe. Und diese Hitze… Ich schlafe fast so schlecht wie in Rimini. Der Hund liegt platt auf dem kühlen Küchenboden. Ich scheuche ihn bei diesen Temperaturen nicht auf grosse Runden – letztes Jahr hat er sich auf den letzten Kilometern einer Wanderung auf dem heissen Asphalt Hitzeblasen an den Pfoten geholt!
Martin war heute mit Rös beim Hausarzt und ich warte auf News. Da ist mir wieder eingefallen, dass sie mir vor einiger Zeit einen ganzen Sack voller Garn gegeben hat. Sie habe keine Lust mehr zum Handarbeiten – das Gspüüri in den Fingern sei nicht mehr so wie früher und die Gelenke würden schnell schmerzen.
Gesucht, gefunden: Baumwollgarn in allen Farben und Stärken. Abwaschlümpen und Topflappen habe ich genug, also warum nicht Gästehandtücher stricken als kleines Anti-Stress-Projekt? Für Muster habe ich gerade keine Nerven, also einfache Rippli mit schönem Rand. Meditativ hin und her.
Ich habe mir ein schattiges Plätzli eingerichtet, inkl. kalten Eiskaffee, die Füsse hochgelegt, Maschen- und Nadelprobe gemacht und mir Masche um Masche, Reihe um Reihe die letzten Tage nochmals durch den Kopf gehen lassen. Ich wusste von Anfang an, dass es keine gute Idee war – warum habe ich nicht nein gesagt?
Eigentlich ganz schön, dass ich jetzt ein paar geschenkte Tage für dolce far niente zu Hause habe. Ich stricke mir den ganzen Rimini-Stress einfach aus dem Kopf! Und dann das WhatsApp von Conny:
Hoi Giulia! Wir hoffen, du geniesst deine Ferien! Wo bleibt das versprochene Föteli vom Spritz mit Meer im Hintergrund??? Wir sind ein bisschen neidisch… Es ist soooooo heiss im Büro, wir sind nur zu dritt und versinken in Arbeit… Alle ausgeflogen! Bis nächste Woche! GLG Sabine, Marion & Conny
Und jetzt habe ich ein schlechtes Gewissen.
Ich sah zwar meine Hände stricken, aber innerlich war ich schon ganz woanders…
