Tante Rös hatte Geburtstag.

Martin bestand – wie immer – darauf, dass wir bei ihm feierten.
Mir war’s egal.

Ich überlegte kurz, ob ich diesmal einen supergesunden Fruchtsalat – wie Anneli an Ostern – mitbringen sollte. Ich hatte mir ja damals geschworen: Neuer Lifestyle, neues Ich. Nun ja. Es ist beim alten Lifestyle und somit auch beim obligaten Sonntags-Gugelhopf (diesmal fünf Minuten weniger gebacken, wie Rös es im Frühling gewünscht hatte) geblieben. Und für die Jungmannschaft habe ich einen veganen Lebkuchen gemacht.

Ich half Martin beim Vorbereiten.

Er wollte nur noch schnell einen Karton Wein aus dem Auto holen.
Dann hörte ich den Schrei.
Ich stellte den Stapel Teller ab.
Atmete tief durch.
Nein.
Einfach nein.
Draussen: Gestöhne, Gemurmel, die Stimmen der Nachbarn.
Dann der Satz, der mich innerlich kollabieren liess:

„Soll ich den Krankenwagen rufen?“

Zu zweit schleppten sie den Ober-Hirsch der Familie ins Wohnzimmer und legten ihn aufs Sofa.

Er röchelte: „Die Hexe, Giulia… die Hexe!“
Und da lag er nun – angeschossen von der Hexe höchstpersönlich.
Natürlich.
Natürlich passiert das heute.

An Tante Rös’ Geburtstag.

Ich entfernte Rös aus dem Familienchat und schrieb:

„Achtung @all! Planänderung! Martin hat Hexenschuss.
Wir müssen umdisponieren. Wer holt Rös ab?“
Zehn Sekunden später rief sie an:
„Giulia, ich bin aus dem Familienchat gefallen.“

Ich stellte mich doof: „Wahrscheinlich hast du das letzte Update nicht gemacht… Die Jungen schauen nachher!“

Zurück im Wohnzimmer.

Der angeschossene Hirsch wirkte so gar nicht wie jemand, der regelmässig im Fitnesscenter trainiert. Aber mir an Ostern sagen, dass ich langsam aufpassen müsse und mir ein bisschen Training nicht schaden würde. Und wer ist noch aufrecht??!?

Ich legte ihm eine Packung Schmerztabletten hin.

Er sah mich mit grossen, verzweifelten Augen an:
„Du kannst mich doch jetzt nicht hier liegen lassen?“
Familienchat:
„Wir gehen zum Italiener. Rös wird abgeholt.
Bis nachher! Gute Besserung an Martin.“
Aha. Wenn’s drauf ankommt, können sie plötzlich.
Martins Schmerzskala ist anders geeicht als meine.
Wenn ich Kopfschmerzen habe, mache ich mir einen Tee.
Wenn er Kopfschmerzen hat, googelt er „Hirnaneurysma“.
Und mein Tierarzt sagt immer:
„So schnell wird nicht gestorben.“
Also stellte ich ihm Mineralwasser hin, richtete das Kissen zurecht und sagte:

„Ich bin erreichbar, falls du tatsächlich stirbst.“

Dann fuhr ich los.

Schon von weitem sah ich die neue Tafel:
„Da Giuseppe.“
Ehrlich jetzt.
Das Universum hat einen speziellen Humor.
Sie warteten schon:
„Wir dachten, der Italiener ist eine gute Alternative zu Martin.
Und eine kleine Erinnerung an Rimini!“
Dünnes Eis.

Gaaaaaaanz dünnes Eis.

Beim Anstossen beugte sich Rös vor, viel zu leise:

„Giulia… du hast Rimini kaputt gemacht.“
Ich starrte sie an.
„BITTE?“
Sie seufzte:

„Wir wären nie ins ospedale gekommen, wenn du mich nicht ständig in den Schatten geschickt hättest… Mich genötigt hättest, Wasser zu trinken! Ich wollte einfach Ferien haben! Mit Anneli wäre das nie passiert!“

Aha. Ich spürte meinen Puls im Hals.

Sie klappte die Menükarte zu – einen Ticken zu laut, aber würdevoll.
Ich bin offiziell schuld.
An Rimini.
Am Kreislaufkollaps.
Am Bademeister.
Am Geburtstag.
Am Hexenschuss.

Am Universum.

Giuseppe erschien, strahlte und fragte, ob wir pronti seien.

Speisekarten sind emotionale Minenfelder.
Rös wählte eine Pizza Margherita.
Ich eine quattro formaggi.
Der Abend war sowieso gelaufen –

und da kam’s auf die Nacht nun wirklich nicht mehr an.

Kennst du das auch – diese Familienmomente, in denen plötzlich alles deine Schuld ist? Wie gehst du damit um? 

Giulia bringt vegane Ostereili zum Familienbrunch - Foto im Tagebuch

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